Mette’s Grün
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Mettes Grün
„Bißchen blöd, Großemami“, sagt Mette und lacht, als sie ihre Großmutter in der Küche besucht, die den Topf mit Orangenmarmelade auf dem Herd vergessen hat. Nun ist ein Teil der Marmelade blubbernd übergekocht und der andere Teil unten am Topf angebrannt.
Wenn Großemami sich freut, leuchtet sie von innen wie ein warmer Vanillepudding. Seit Mettes Mutter tot ist, leuchtet Großemami nicht mehr oft. Vor drei Jahren ist sie mit Großvater zusammen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mette ist manchmal traurig, weil sie sich nicht an ihre Mutter erinnern kann.
Heute kommt Mettes Vater, um sie abzuholen, damit sie sich vor der Schule noch ein bißchen einlebt. Mette kann kaum laufen, sie hat solch ein Ziehen in der Brust, sie wird sterben vor Heimweh.
Im Auto gibt Großemami Mette eine Schachtel. Die Schachtel – wie konnte Mette nur die Schachtel vergessen! Jedes ihrer Geschwister bekam zum Schulanfang eine Schachtel von Großemami mit Kostbarkeiten darin zur Erinnerung an die Zeit vor der Schule, die sie alle bei Großemami verbracht haben.
Kaum, dass sie vom Hof gefahren sind und keiner etwas sagt, öffnet Mette ihre Schachtel: getrocknete Blumen aus dem Garten sind darin. Darauf wie auf bunten Kissen ein kleines Stoffpüppchen, mit dem Großemami als Kind gespielt hat: das Kostbarste, was Mette sich vorstellen konnte.
Um die Blumen und um das Püppchen herum liegt seidenweich ein Tuch. Mettes Herz bleibt stehen vor Glück: Es gibt ein Foto von ihrer Mutter auf Großemamis Nachttisch, auf dem sie lachend als junge Frau durch Großemamis Herbstgarten läuft in Gummistiefeln und mit einem Tuch um den Kopf. Eine Schwarzweißfotografie. Mette hat Großemami bei jedem Mittagschlaf nach der Farbe des Tuchs gefragt, aber da war Großemami immer schon eingeschlafen. Jetzt weiß sie es. Es ist grün. Alles wird gut.
Ida & Rosa
Ida und Rosa lieben ihre Freiheit. Es ist Sonntag. Das Haus schläft noch. Der Abend war lang. Nur der alte Baron ist früh aufgestanden und mit den beiden grauen Hunden schon seine Runde durch die Felder gelaufen. Jetzt steht er in der Küche und beginnt damit, das Frühstück vorzubereiten. Wie jeden Sonntag.
Im Park hinter der großen Wiese beginnt das Reich der beiden Hunde. Hohe, alte Bäume, verwittertes Untergehölz, manchmal eine Maus, ein Eichhörnchen, wenn sie Glück haben auch mal ein Fuchs, selten ein Hase. Der ganze Park ist umgeben von einer alten Steinmauer, nur eine kleine Eisentür, unverschlossen, aber für Ida und Rosa unüberwindbar, führt in den angrenzenden Wald und über die Felder. Im vorderen Teil des Parks wacht die Baronin über ihre Blumenbeete.
Juscar fährt vor, jüngster Sohn, schwarzes Schaf der Familie, parkt wie immer zum ersten Ärgernis seines Vaters direkt vorm Haus. Fluchtbereit. Er kommt aus der Stadt zum Frühstück, um seine Familie, seine Geschwister und Freunde zu sehen. Juscar steigt aus seinem alten Volvo, geht durch den Kies, die alte Eichentür schon offen, springt die Treppe hinauf in die Eingangshalle, tritt durch die Glastür in den Gartensaal, links im Salon noch ein Durcheinander vom Abend, von ganz hinten Geklapper aus der Schlossküche und sieht durch die Terrassentür Ida und Rosa, aufgescheucht vom Geräusch seines Autos. Wie mit fliegenden Ohren kommen sie vor Freude bellend angerannt.
Mein Schreibtisch
Eigentlich habe ich drei Schreibtische, genaugenommen vier, wenn man den Esstisch dazu zählt. Vom vierten wurde ich bald verbannt, obwohl der gar nicht schlecht war, weil ich daran mitten im Geschehen saß, links in den Garten, rechts auf die Straße schauen konnte und jeder an mir vorbei musste oder sich mit irgendetwas zu Essen oder auch mit nichts dazu setzen konnte.
Mein Schreibtisch im Schlafzimmer, habe ich den mal für mich gekauft? Diese primitive Ikea-Platte auf den 2 wackeligen Böcken? Der Schreibtisch ist so ungefähr das Wertloseste im ganzen Haus. Die ehemals schwarze Platte habe ich in einem Rot von Farrow & Ball gestrichen. Darum und wegen all dem Kram, der darauf liegt, darf der Schreibtisch da stehen bleiben. Nicht etwa, weil ich je daran sitze.
Nummer drei steht in der Küche. Ein alter Holztisch. Gemütlich aber unbrauchbar. Wer will schon zwischen Salatschüsseln, Einkaufslisten und Butterbrotpapier sitzen.
Mein Schreib-Schreibtisch steht im Wohnzimmer. Früher saß in einem anderen Wohnzimmer mein Vater an diesem Schreibtisch, eine Schublade ist noch von ihm befüllt. Wenn er nicht daran saß, war die Schreibtischplatte hochgeklappt und am Zeugnistag lagen unsere Zeugnisse auf der Klappe, das von meinem Bruder und mir. Nun sitze ich an dem alten Sekretär, mit Blick in den Garten, vertieft in mein Schreiben.
Am Morgen
Sie hat etwas Verruchtes, als läge sie im geblümten seidenen Morgenmantel auf der Chaiselongue und würde in Gedanken versunken durch die großen offenen Fenster in den Park schauen.
Der Park ist grün von Bäumen und grünem Gras, der Himmel noch grau und ein bisschen verhangen vom letzten Regen. Sie hat einen schönen, nicht mehr ganz jungen Körper, ist ausgeruht, aber noch müde vom vergangenen Abend. Sie genießt die Stille in dem Wissen, dass es auch an diesem Abend wieder eine Wonne sein wird zu glänzen, umschwärmt, begehrt und interessant zu sein.
Sie gibt großzügig wie aus vollen Schalen mit schönen Händen von ihrem Leben ab. Sie berichtet nicht, sie erinnert sich, als würde sie das Erinnerte fühlen, den Duft, die Berührungen, die Freude, den Schmerz.
Sie fühlt es mit einer Gelassenheit, einer Wohligkeit und mit einer gewissen zufriedenen Dankbarkeit darüber, dass sie solchen Reichtum in sich trägt und über ein Selbstverständnis an Großzügigkeit verfügt, davon abzugeben, von sich preiszugeben, diskret und vornehm.
Eine geheimnisvolle, begehrenswerte Frau, ganz bei sich.